Leinefelde. Vor 25 Jahren, am 1. Juni 2000, wurde in Hannover die Weltausstellung „Expo 2000“ eröffnet. Sie hatte das Thema „Mensch, Natur, Technik – Eine neue Welt entsteht“ und zählte an den 153 Ausstellungstagen bis Ende Oktober rund 18 Millionen Besucher. Es beteiligten sich 155 Länder mit ihren Beiträgen. Auf rund 160 Hektar wurden rund zwei Milliarden Euro verbaut. Die Hauptthemen waren Nachhaltigkeit, Umweltschutz, neue Technologien und globale Zusammenarbeit. Zu den besonderen Bauwerken und damit Besuchermagneten zählten der Expo-Tower, die Expo-Kuppel und der Japan-Pavillon.
Deutschland präsentierte sich auf der Expo 2000 in Hannover modern und innovativ. Der Deutsche Pavillon hatte das Thema „Die Neue Mitte“. In den modern gestalteten, offenen, lichtdurchfluteten Räumen sollten Begegnung und Dialog gefördert werden. Die Ausstellungsschwerpunkte waren Umweltschutz und erneuerbare Energien (z.B. Wind- und Solarenergie); neue Technologien und Innovationen in Wissenschaft und Industrie; gesellschaftliche Entwicklungen, z.B. Integration und kulturelle Vielfalt. Der multimediale Einsatz innovativer Medientechnik und interaktive Installationen vermittelten den Besuchern die Botschaften lebendig und anschaulich.
Deutschland stellte sich als Vorreiter in ökologischer Verantwortung dar, passend zum globalen Thema der Expo. Neben Technik und Wissenschaft zeigte Deutschland auch seine kulturelle Bandbreite, mit Beiträgen aus Kunst, Musik und Literatur. Verschiedene Bundesländer präsentierten sich mit eigenen Pavillons oder Beiträgen, um die regionalen Besonderheiten und Innovationen hervorzuheben. Insgesamt sollte die Präsentation Deutschlands ein Bild von Fortschritt, Umweltbewusstsein und gesellschaftlicher Offenheit vermitteln.
Leinefelde als Außenstandort

Die Teilnahme der Stadt Leinefelde an der EXPO 2000 in Hannover war ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte des Stadtumbaus Ost. Unter dem Motto „Das neue Gleichgewicht: Arbeiten und Wohnen“ präsentierte Leinefelde ein Modellprojekt für die Umgestaltung von Plattenbaugebieten in eine lebenswerte, zukunftsfähige Stadt.
Leinefelde entwickelte sich durch den Eichsfeldplan binnen weniger Jahre vom Dorf zur sozialistische Musterstadt. Die Zahl der Einwohner stieg von gut 2000 auf fast 17.000. Nach der Wende stand die junge Stadt vor großen Herausforderungen. Die Baumwollspinnerei als größter Arbeitgeber der Region baute mit Zusammenbruch der Absatzmärkte unmittelbar Tausende Arbeitsplätze ab. Die Leinefelder Südstadt, ein Plattenbaugebiet mit 86 Wohnblöcken, verlor die Hälfte ihrer Einwohner. Die heißgeliebte Platte mit Warmwasser aus der Wand und Fernheizung stand zu großen Teilen leer. Die Menschen zogen der Arbeit hinterher, also in den Westen, oder in die Dörfer bzw. Eigenheimbaugebiete, um sich endlich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
Leerstand und soziale Entmischung zwangen zu Entscheidungen. Der damalige Bürgermeister Gerd Reinhardt sah den Stadtumbau nicht nur als notwendig an, sondern auch als Chance, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Gemeinsam mit den Stadträten, den Wohnungsgesellschaften und vor allem den Fachleuten, die er von Anfang an einbezog, wurde ein Rahmenplan für Leinefelde entwickelt. Und so begannen bereits 1993 die Planungen für eine umfassende Umgestaltung der Südstadt. Tabus gab es nicht. Abriss wurde genauso in Betracht gezogen wie Umbau und Neubau – immer mit dem Ziel, das Gleichgewicht zwischen Arbeiten und Wohnen wiederherzustellen.
Die Idee, dass sich Leinefelde mit seinem Stadtumbau für die Expo 2000 bewerben könnte, wurde durchaus kontrovers diskutiert und von manchem belächelt. Aber schließlich wurden – wie es der damalige Landrat Werner Henning empfahl – die Hochglanzprospekte hergestellt und der Stadtumbau als dezentrales Projekt der EXPO 2000 am 20. November 1997 offiziell registriert.
Stadtumbau

Diese Entscheidung war ein Meilenstein, aber auch Verpflichtung, der Weltöffentlichkeit sehenswerte Projekte zu präsentieren. Die Stadt hat sich dabei auf das Physikerviertel und das Dichterviertel konzentriert, städtebauliche Wettbewerbe ausgerufen und zur Expo alle Bauphasen der Umgestaltung gezeigt – vom Abriss bis zum Neubau und der fertigen Sanierung. Die Umgestaltung erfolgte teils nach Um- und Leerzug, teils aber auch in bewohntem Zustand, was den Mietern, aber auch den Vermietern einiges abverlangt hat. Schließlich waren hier eine gute Vorbereitung und ausgefeilte Logistik notwendig, um möglichst wenig Reibung auf den Baustellen zu erzeugen. Ein eigens eingerichtetes Stadtteilmanagement half, Probleme zu erkennen und offensiv anzugehen und ermöglichte es den Bewohnern, den Prozess aktiv mitzugestalten.
In den Blick genommen wurde aber nicht nur der Wohnungsbestand, sondern auch soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Sport- und Kultureinrichtungen wie das Leinebad, welches im EXPO-Jahr eröffnet wurde. Gleichzeitig wurden die neu entstandenen Frei- und Grünflächen aufgewertet und die Lebensqualität der Leinefelder auch hier entscheidend verbessert. Die Expo verschaffte der Stadt dabei nicht nur internationale Aufmerksamkeit, sondern auch einen guten Draht zu Fördermittelgebern in Land und Bund.
Leinefelde wurde das Schaufenster für innovative Stadtentwicklung im Osten Deutschlands. Die Teilnahme Leinefeldes an der EXPO 2000 war weit mehr als nur eine Präsentation auf einer Weltausstellung. Sie war ein Bekenntnis zur aktiven und kreativen Gestaltung des Wandels im Osten Deutschlands. Durch innovative Konzepte und den Mut, neue Wege zu gehen, wurde Leinefelde zu einem leuchtenden Beispiel für erfolgreichen Stadtumbau.
Architekten
Der Stadtumbau in Leinefelde, insbesondere im Rahmen der EXPO 2000, wurde maßgeblich durch die Arbeit mehrerer renommierter Architekturbüros geprägt. Diese trugen entscheidend dazu bei, die ehemals tristen Plattenbausiedlungen in attraktive, lebenswerte Wohnquartiere zu transformieren.
Stefan Forster Architekten (Frankfurt am Main)
Stefan Forster und seine Kollegen aus Frankfurt/Main waren federführend bei der Umgestaltung im Dichterviertel. Hier entstanden Vorgärten und grüne Wohnzimmer, Loggien und Dachterrassen. Es wurden ganze Etagen abgetragen und durch Herausnahme einzelner Platten völlig neue Grundrisse geschaffen.
Muck Petzet (München)
Muck Petzet war an mehreren Projekten im Rahmen des Stadtumbaus beteiligt, darunter der Modernisierung des Physikerquartiers. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine sensible Auseinandersetzung mit dem Bestand und eine behutsame Integration neuer Elemente aus. In die Erarbeitung neuer Grundrisse wurden die Mieter aktiv einbezogen.
Stadermann Architekten (Hausen)
Das Team um Ottmar Stadermann trug zur Umgestaltung des Dichterviertels bei, insbesondere durch die Entwicklung von „Terrassenhäusern“ in der Stormstraße. Diese Projekte kombinierten Rückbau mit innovativen Wohnkonzepten und wurden mehrfach ausgezeichnet. Stadermanns Handschrift trägt auch das Soziale Zentrum, das aus einer Kinderkrippe entstand, der neue Jugendclub und der neu gestaltete DRK-Kindergarten „Sonnenschein“.
GRAS – Gruppe Architektur & Stadtplanung (Dresden/Darmstadt)
Das Büro GRAS ist bis heute der Partner der Stadt Leinefelde-Worbis in Sachen Stadtumbau. Es erarbeitete den Rahmenplan für die Umgestaltung der Südstadt und ist mit der Erstellung und Fortschreibung des Stadtentwicklungskonzeptes beauftragt.
Preise

Der Stadtumbau in Leinefelde wurde mit mehreren renommierten Preisen ausgezeichnet, die die herausragende städtebauliche Entwicklung und die innovative Transformation der Plattenbaugebiete würdigen. Der wichtigste war der World Habitat Award der Vereinten Nationen, verliehen 2007 in Den Haag.
Alle Auszeichnungen im Überblick
EXPO 2010

Leinefelde war zehn Jahre später auch bei der Expo 2010 in Shanghai im Deutschen Pavillon präsent. Der Pavillon stand unter dem Motto „Balancity – Die Stadt im Gleichgewicht“ und wurde für seine innovative und interaktive Gestaltung mehrfach ausgezeichnet. Er erhielt unter anderem den ersten Preis für die beste Umsetzung des Expo-Themas „Better City, Better Life“ und wurde von den Besuchern als „bester Pavillon“ gewählt.
Im Pavillon wurden verschiedene deutsche Städte und deren Konzepte für eine nachhaltige Stadtentwicklung präsentiert. Leinefelde war dabei mit einem eigenen Exponat vertreten, das die erfolgreiche Transformation der Südstadt von einer Plattenbausiedlung zu einem modernen Wohngebiet demonstrierte.
Auch die Präsentation in Shanghai trug dazu bei, die Stadt als Beispiel für innovative Stadtentwicklung und nachhaltigen Umbau bekannt zu machen. Sie verdeutlichte, wie durch gezielte Planung und Zusammenarbeit von Stadtverwaltung, Architekten und Wohnungsbaugesellschaften eine lebenswerte und zukunftsfähige Stadt geschaffen werden kann. Noch heute werden internationale Gäste durch die Südstadt geführt, die wertvolles Wissen rund um den Stadtumbau zurück in ihre Heimat bringen.